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Titel
The Trial of Jan Hus. Medieval Heresy and Criminal Procedure


Autor(en)
Fudge, Thomas A.
Erschienen
Oxford 2013: Oxford University Press
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Mit dem vorliegenden Buch will Thomas A. Fudge, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität von New England in Australien, zeigen, dass der Prozess gegen Jan Hus, der 1410 in Prag begann und 1415 auf dem Konzil von Konstanz bekanntlich mit Hussens Hinrichtung endete, ein legaler Prozess war, selbstverständlich im Sinn der damaligen Zeit. Diese Meinung teilt er nach eigenen Angaben mit dem tschechischen Historiker Jiří Kejř, der leider praktisch nur in Tschechisch publiziert hat. Die Rezensentin teilt Fudges (und Kejřs) Einschätzung, hat aber doch einige Bedenken hinsichtlich der Beweisführung. Zunächst gibt der Autor einen Überblick über die mittelalterlichen Häresien und dann über die Entwicklung des mittelalterlichen Inquisitionsprozesses, wobei noch zu fragen wäre, ob die Häresien unabhängig von der Inquisition existiert haben. Der Überblick über die mittelalterlichen Häresien fällt leider nicht sehr zufriedenstellend aus, denn Fudge unterscheidet hier zu wenig zwischen den einzelnen Häresien und auch zwischen Polemik und Realität (Untertitel: Heresy as Intellectual Deviance, Heresy as Religious Formation and Reform, Heresy as Contumacy, Heresy as Challenge to Social Order, Heresy as Civil Desorder, Heresy as Madness, Heresy as Disease, Heresy as Perversion, Heresy as Diabolism). Dies führt unter anderem dazu, dass die von Raoul Glaber im 11. Jahrhundert beschriebenen frühen Häresien erst sehr spät, nämlich unter «Heresy as Madness» beschrieben werden. Das Kapitel über die Entstehung des Inquisitionsprozesses, insbesondere des summarischen Prozesses, ist überzeugender, wenn auch nicht ganz überzeugend, denn auch hier wird letztlich die chronologische Ordnung nicht eingehalten. Dagegen hält sich Fudge bei der Schilderung von Hussens Prozess genau an die Fakten und gibt die Ereignisse manchmal fast von Tag zu Tag wieder (in den Kapiteln 4. Beginnings of the Hus Trial from Prague to the Papal Curia, und 7. Legal Process at the Council of Constance). Diese beiden Kapitel werden unterbrochen durch eine Interpretation des Appells, den Hus am 18. Oktober 1412 direkt an Christus richtete, und des «Ordo procedendi», einer Zusammenfassung des Prozesses, den Hus wahrscheinlich 1414 auf das Konzil von Konstanz mitgebracht hatte (5. An Extraordinary Motion to an Appellate Court, und 6. The Ordo Procedendi as a Political Document). Dabei handelt es sich um zwei Dokumente von grosser Wichtigkeit, die ihre Interpretation durchaus lohnen. Gerade im Ordo procedendi lässt sich letztlich bereits eine zeitgenössische Stimme fassen, die zu beweisen versuchte, dass der Prozess gegen Hus ein illegaler Prozess war. Die beiden Dokumente führen auch vor Augen, dass sowohl die Häresie Hussens als auch sein Prozess eine neue Dimension und Qualität hatten, der mit der Schilderung der mittelalterlichen Vorgeschichte von Häresie und Inquisitionsprozess allein letztlich nicht beizukommen ist. In diese Richtung weist vor allem der Appell an Christus, den Hus am 18. Oktober 1412 noch in Prag erliess und mit dem sich auch das Konzil von Konstanz sehr schwer tat. Hus hatte nicht damit rechnen können – oder müssen –, dass er seine doch sehr kirchenkritischen Meinungen vor einem Konzil und nicht vor der päpstlichen Kurie würde vertreten müssen. Das Konzil setzte sich zwar mit dem Dekret «Haec sancta» (vom 7. April 1415) in einer Notsituation über den Papst, konnte aber mit einem Appell an Christus – an dessen Rechtmässigkeit Hus bis zuletzt festhielt –, ebenso wenig anfangen wie der Papst; das Konzil musste in dieser Situation vielmehr sehr legalistisch und auf Ruhe und Ordnung bedacht handeln. Letztlich ging Hus von einem ganz anderen Kirchenbegriff (der Prädestinierten) aus als Papst und Konzil. Dieses letztere sah es als seine wichtigste Aufgabe an, das dreifache päpstliche Schisma zu beseitigen (lat. causa unionis), und konnte Hus auch schon deshalb seine Häresie nicht durchgehen lassen, auch wenn, auch von Seiten von König Sigismund, der Hus freies Geleit gewährt hatte, ungewöhnlich viel Energie daran gewendet wurde, um einen Widerruf zu erreichen, und dann, als sie unausweichlich wurde, die Verurteilung Hussens – und auch der Bruch des freien Geleits – zu rechtfertigen versuchte – auch dies ein Novum in der Geschichte der Häresieverfolgungen, das Fudge vielleicht unterschätzt hat. Auch wenn er darauf nicht mehr eingeht: der Hussitismus, d.h. die Häresie von Hussens Anhänger, war die einzige mittelalterliche Häresie, die sich mit dem Namen einer Nation, nämlich derjenigen Böhmens, verband und die sich nicht damit begnügte, ihre überzeugten Anhänger defensiv abschlachten zu lassen, sondern offensiv aus ihrem Territorium ausbrach und ihren Glauben mit den Waffen zumindest im Deutschen Reich zu verbreiten versuchte. Alles in allem han-delt es sich um ein durchaus lesenswertes Buch, auch – oder gerade weil – es zum Widerspruch herausfordert.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Thomas A. Fudge, The Trial of Jan Hus. Medieval Heresy and Criminal Procedure, Oxford, University Press, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 396-398.

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